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Wie plotte ich eigentlich - Teil 5

Katharina Drüppel • März 03, 2021

Das Sieben-Punkte-System in der Praxis

Die Heldenreise habe ich am Beispiel von "Aschenputtel" erklärt - wer es noch nicht gelesen hat, dem empfehle ich den vorhergehenden Blogartikel ;-) Und wer das Sieben-Punkte-System noch nicht kennt, schaut am besten auch in meine Blog-Liste, da habe ich es bereits einmal vorgestellt.
Heute nehme ich ein weiteres Märchen zur Hilfe, "Schneewittchen" steht heute im Fokus. 
1. Am Anfang steht der Anfang: In dem Märchen lernen wir Schneewittchens Geschichte kennen, sie lebt gemeinsam mit ihrem Vater (in einigen Versionen ist er auch tot oder stirbt relativ schnell) und ihrer Stiefmutter in einem Schloss. Die Stiefmutter befragt ständig einen Spiegel nach der Schönsten im Land, die natürlich immer die Stiefmutter ist. Soweit zu Schneewittchens bisherigem Leben. Schneewittchen selbst wird meist als ziemlich unbedarftes Kind beschrieben, die das Leben liebt, hilfsbereit und tierlieb ist, sich selbst immer hintenan stellt und bei allen beliebt ist.
2. Die erste Wendung: Schneewittchen bleibt nicht so klein, sie wächst zu einer jungen Erwachsenen heran, einer äußerst hübschen Frau. Das merkt auch der Spiegel, der die Stiefmutter darauf hinweist. Die ist selbstverständlich nicht erfreut über diese Wendung, von der Schneewittchen selbst noch gar nichts mitbekommt. Ich erwähnte das Wörtchen "unbedarft"? Die Stiefmutter schmiedet einen finsteren Plan: Schneewittchen muss weg - für immer!
3. Der erste Kniff: Der Jäger, der Schneewittchen im Auftrag der Stiefmutter erledigen soll, lässt sich von der jungen Maid betören, die auf einmal begreifen muss, dass ihr schönes Leben vorbei ist. Er lässt sie laufen, bringt aber einen "Beweis" für ihren Tod mit ins Schloss. Ab jetzt ist Schneewittchen auf sich allein gestellt, sie kann nie wieder zurückkehren. 
4. Die Mitte: Schneewittchen trifft auf die Zwerge, die sie bei sich aufnehmen. Währenddessen erkennt der Spiegel, dass Schneewittchen entgegen den Worten des Jägers immer noch lebt. Zweimal versucht die böse Stiefmutter Schneewittchen das Leben zu nehmen, aber es gelingt ihr nicht, die Zwerge können das Mädchen immer wieder retten. Allerdings ist Schneewittchen auch grenzenlos naiv und glaubt alles, was man ihr erzählt - jede Geschichte der verkleideten Stiefmutter findet bei ihr Gehör. 
5. Der zweite Kniff: Schneewittchen ist wieder einmal allein im Zwergenhaus, als die Stiefmutter ihr den vergifteten Apfel andreht. Das Mädchen beißt hinein, verschluckt ein Stück und stirbt. Die Situation könnte nicht auswegloser sein.
6. Die zweite Wendung: Die Zwerge bahren Schneewittchen in einem gläsernen Sarg auf, damit ihre Schönheit nicht vergeudet wird. Eines Tages reitet per Zufall ein Prinz vorbei, verliebt sich in die tote Prinzessin und will den Sarg mitnehmen. Die Zwerge überlassen sie ihm, und beim Transport fällt der Sarg samt ihr zu Boden, sie spuckt das Apfelstück heraus und - oh, Wunder: Sie lebt wieder!
7. Das Ende: Der Prinz und Schneewittchen heiraten und leben glücklich bis an ihr Lebensende, die böse Stiefmutter muss zur Strafe in glühenden Eisenpantoffeln tanzen, bis sie tot umfällt.

Ganz ehrlich: Schneewittchen ist nicht das beste Beispiel, weil sie weder eine Entwicklung durchmacht während der Geschichte, noch selbst in die Aktion übertritt: alle Probleme werden für sie gelöst, ohne dass sie etwas dafür tun muss. In modernen Verfilmungen wird das Problem des naiven Dummchens dadurch gelöst, dass man Schneewittchen tatsächlich aktiv für ihre Freiheit kämpfen lässt, sie muss sich behaupten gegenüber der Königin, die sie am Ende aus eigener Hand zur Strecke bringt. Diese Version ist dem Sieben-Punkte-System gegenüber auch die bessere Version, weil hier erstens eine Entwicklung von der unschuldigen zur toughen Maid stattfindet, und zweitens Schneewittchen nicht passiv ist, sondern tatsächlich von der Reaktion in die Aktion übergeht. Ich habe mich aber dazu entschlossen, das Beispiel trotzdem zu lassen, weil es auch hilfreich ist zu sehen, wie es nicht funktionieren sollte. 
Das nächste Mal gehen wir einen Schritt weiter: Mit was schreibe ich jetzt eigentlich die Geschichte, die ich mir so mühsam zusammen geplottet habe? Bis dahin lasst es euch gutgehen und bleibt gesund!
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